Hast Du dir auch schonmal gewünscht, dass sich hinter der Tür deines Kleiderschrankes die fantastische Welt von Narnia erstreckt? Oder du einfach schnell genug auf eine Wand auf dem Bahnsteig zulaufen musst, um in ein anderes, magischen Land einzutauchen? Weil die Welt hier gerade irgendwie zu eng wird? Zu eintönig? Und zu sehr die Luft zum Atmen nimmt? Weil da einfach noch mehr sein muss, als das, was gerade hier ist?
Gewünscht habe ich mir das schon. Allerdings musste ich dann schnell ernüchternd feststellen, dass hinter der Tür des Kleiderschrankes nur ein riesen Chaos aus ungefalteten Klamotten wartet und die Wand des Bahnsteiges von einer Gruppe 17-jähriger Hipster verdeckt wird, die über ihren Bluetooth-Lautsprecher gerade den neusten, lyrisch höchst anspruchsvollen Apache Song abspielen. Es muss also eine andere Lösung her, um eine Welt, oder wenigstens eine andere Seite dieser Welt zu entdecken. Und die gibt es. Es ist das Reisen.
Reisen. Fremde Länder. Fremde Kulturen. Fremde Menschen. Fremde Geschichten. Geschichten, die so anders sind als unsere eigene. Und doch so gleich. Als wären sie aus ein und der selben Feder entsprungen. Wir treffen Menschen, die von unserem Leben keine Ahnung haben. Es sich wahrscheinlich herbeisehnen. Doch gar nicht wissen, wie eng da alles in unserem Leben ist.
So viele Gesichter auf denen Geschichten gezeichnet sind. Ich starre in stillen, unbeobachten Momenten auf die Gesichter und frage mich, was diese Augen schon alles gesehen haben. Frage mich, ob diese Menschen erahnen können, wie sehr ich sie beneide. Weil sie so zufrieden aussehen. So zufrieden, mit dem, was sie haben. Auch, wenn es nur lächerlich wenig ist.
Es ist alles so einfach. So simpel. Und doch funktioniert es. Die kleine Hütte, aus der heraus nur Wasser und Bier und Kokosnüsse verkauft werden. Der Laden, dessen Öffnungszeiten davon abhängen, wie viel Lust die Verkäuferin gerade hat. Der ungeregelte Verkehr, ohne Helm und ohne Schuhe, in dem doch nichts passiert. Der Glauben, der die Elemente der Natur zu Grunde legt, und damit so viel natürlicher ist, als das bürokratische Konstrukt der hier ansässigen Glaubensgemeinschaften. Der kleine Tempel aus dunklen Steinen im Vorgarten, der Hoffnung spendet. So viel schöner, als das „Betreten Verboten“-Schild auf den affig akkurat gemähten Rasen vor den Häusern in unserer Welt. So viel mehr Sinn.
Der Ort ist wunderschön. Er scheint nahezu unreal zu sein, aber da ich lediglich in ein Flugzeug anstatt in eine Schrankwand gestiegen bin, muss er doch zur Realität gehören. Glück braucht so wenig. Und Unzufriedenheit so viel. Es ist so viel zu viel in unserer Welt. Die Menschen haben so viel, so viele Dinge, so viele Regeln, so viele Verpflichtungen, so viele Pläne. So wenig Zeit. So wenig Zeit für die Dinge, die wirklich zählen. Miteinander zu sprechen. Nachzudenken. Den eigenen kleinen Garten im Herzen zu pflegen. Sich treiben zu lassen. Sie suchen den Sinn, der sich hinter dem ganzen zu viel so gut verstecken kann. Und wird das ganze zu viel einmal zur Seite geräumt, wird bewusst, in welchem Wahnsinn wir Tag für Tag leben. Vielleicht hebt dann der Sinn von ganz alleine zaghaft seine Hand und sagt:“Hier bin ich. Hier war ich die ganze Zeit.“.
Erfahrungen, die man nicht in Büchern nachlesen kann. Die kein Influencer auf Youtube uns morgens um halb sieben beim Frühstück ins Gesicht schreit. Von denen uns niemand erzählen kann. Nur wir selber können sie erleben. Die Erfahrungen, die uns selbst verändern. Die uns komplizierte Fragen, aber einfache Antworten liefern. Momente, in denen die Zeit still steht und nur uns gehören. Die so schön sind, dass sie uns überwältigen. Die Tränen kommen lassen. Obwohl gerade eigentlich gar nichts passiert. Endlich mal gar nichts passiert.
Und überall wo wir hingehen, und dann auch irgendwann wieder weg gehen, lassen wir ein Stück von uns selbst zurück. Ein Stück von uns bleibt für immer an diesem Ort. Es wird konserviert in dem Moment. Wir müssen es da lassen, als Pfand, als Versprechen, dass wir eines Tages wieder zurückkommen werden. Und, wenn wir dann wieder zurückkommen, stellen wir vielleicht entsetzt fest, wie fremd uns dieses Stück auf einmal ist. Weil wir schon lange gar nicht mehr die selben sind. Wir werden erstaunt sein, wie viel Neues wir mitbringen und wie viel Altes gar nicht mehr da ist, weil wir es irgendwo anders gelassen haben. Irgendwo, wo wir es vielleicht gar nicht mehr finden. Doch das wäre vollkommen okay.
Und, wenn Du den Ort gefunden hast, an dem dein Herz nicht wie wild schlägt, sondern ruhig und sanft vor sich hin vibriert, dann ist dies vielleicht der Ort für dich. Vielleicht ist das der Ort, der richtig für dich ist. Wir alle haben das Privileg die begrenzte Zeit, die wir auf dieser Erde haben, dort zu verbringen, wo es sich richtig anfühlt. Unsere Wurzeln, die uns so eng an unsere ordentlich geteerte Straße binden, existieren nur in unserem Kopf. Aber unser Herz hat Flügel. Und die können uns dahin tragen, wo wir sein möchten. Diese sind unser Antrieb, der uns hilft, unser Leben so zu führen, wie es für uns selbst richtig ist.
Es ist Irrsinn, einen ganzen Planeten vor der Tür zu haben, und sich nur in einem Radius von 100 Kilometern zu bewegen. Wir sehnen uns so oft nach einer anderen Welt, dabei kennen wir die gleiche Welt doch gar nicht. Wir kennen nur unser eigenes, lächerlich kleines Lebensbiotop und denken, dass hier alles ist. Dabei ist hier fast nichts. Wir besetzen nur einen so kleinen, einen so mikroskopisch kleinen Teil dieser Erde und denken, dass dies die Welt sei. Wir werden um einiges bescheidener, wenn uns bewusst wird, welchen minimalen Teil der Welt wir unser Leben nennen.
Dabei gibt es da draußen so viel mehr. So viel mehr im Weniger. Ein Weniger, das eigentlich alles ist. Es braucht nur etwas Mut und etwas Herz. Dann können die Wurzeln mit einer kleinen Bewegung getrennt werden. Findet das Herz dann einen Ort, an dem es ein bisschen bleiben möchte, dann kann es die Wurzeln doch einfach wieder einpflanzen. Und sie wieder lösen, sobald es Zeit ist, weiterzuziehen.
Dieser Beitrag stammt von MadameFox